04 - 23. Januar 2007

SchlagLicht

Macht Hockey (ganztags) Schule?



Die Schwerpunktthemen der LSB-Zeitungen oder die Seminarangebote der Sportschulen sind immer ein Seismograf der (vermeintlichen) Problemstellungen des Sports. Ich habe in meiner Tätigkeit für den Breitenport im DHB immer versucht, vieles davon auch für den Hockey-Vereinssport zugänglich zu machen (Sportmarketing – lang, lang, ist’s her - Ende der 80er. Breitensportliche Wettkampfsysteme, Personalentwicklung, Zukunftswerkstatt, etc). Schau ich mir die Themen an, die in den letzten Jahren und bis heute immer wieder auf der Agenda der Landessportbünde oder des DOSB stehen, dann sind das vor allem Gesundheitssport, Evaluierung und Qualitätsmanagement darin, Entwicklung von Angeboten für den Seniorensport. Ich sehe die Probleme für den Vereinssport woanders und wundere mich, wie wenige Hilfen hier sichtbar werden.

Allheilmittel Ganztagsschule

Als Folge des schlechten Abschneidens der deutschen Schüler bei der ersten PISA-Studie hat die Bundesregierung 2003 die Ganztagsschule als das Heilmittel erkannt. Obwohl Bildung Ländersache ist, hat die Bundesregierung 4 Milliarden für die Förderung der Ganztagsschulen bis zum Jahre 2007 bereitgestellt. Diese Mittel dienen vor allem dem Aufbau der Infrastruktur (Räume für den Freizeitbereich und die Essenseinnahme). Die Länder fördern direkt diese Schulform. Bis zum Ende des Jahres 2005 waren bereits 5755 Schulen Ganztagsschulen. Bei ungefähr 30000 Schulen bundesweit (darunter auch Berufs- und Sonderschulen) eine nicht zu vernachlässigende Größe. Denn die wenigsten Mannschaften eines Vereins werden das Glück haben, alle Kinder an einer Schule zu wissen. Beeinträchtigungen des Vereinssports sind also gewiss, wenn Schule nicht mehr spätestens um 14 Uhr endet, sondern frühestens um 16.00 Uhr, oft auch erst um 18 Uhr. Nicht unerhebliche Kapazitäten an Sportanlagen und vor allem Hallen werden nicht mehr für den Vereinssport verfügbar sein. Das Hockeytraining kann frühestens und auch nur für die „hockeyverrücktesten“ Kinder um 17.00 Uhr beginnen.

Manfred von Richthofen weist den Weg

Der ehemalige DSB-Präsident Manfred von Richthofen, der den Hockeyleuten oft frühzeitig den Rat gegeben hat, Zeichen der Zeit zu erkennen und sie für sich zu nutzen, hat diesem Wandel des Schulalltags auf dem letzten DHB-Bundestag 2005 in Mönchengladbach in seinem Festvortrag besondere Beachtung geschenkt und den Vereinen auf den Weg gegeben: „Der bundesweite Trend ist die Ganztagesbetreuung, und das bedeutet für unsere Vereine eine Umstellung, von denen einige noch nicht verstanden haben, was sich hier in Kürze abspielen wird. Wir werden also in den Nachmittagsstunden, den klassischen Trainingszeiten für Jugendliche, diese Jugendlichen nicht mehr im Verein haben, sondern in der Schule, und wir werden sie dort betreuen müssen. Ich bitte Sie dringend: Gehen Sie Kooperationen mit den Schulen ein, schließen Sie Kooperationsverträge. Kommen Sie umgehend zu Gesprächen mit Schulen, von denen Sie wissen, dass sich dort Hockeyspieler und –spielerinnen aufhalten. Nutzen Sie die Möglichkeiten, auch nicht-hockeyspielende Schülerinnen und Schüler auf diesem Wege anzusprechen. Ich sehe diesen Wandel auch als eine ganz große Chance für die Vereine. Nutzen Sie sie, sonst verschlafen Sie nicht nur die Zukunft, sondern auch eine Chance, wie es sie in der althergebrachten Form auch nicht mehr geben wird.“ Präziser kann man es nicht sagen.

Welche Beeinträchtigungen bringt die Ganztagsschule?

Es gibt zwei Formen der Ganztagsschule. Die offene und gebundene. Bei der offenen haben die Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder auch von der Anwesenheitspflicht am Nachmittag freizustellen. Bei der gebundenen Ganztagsschule ist Anwesenheitspflicht bis 16.30 Uhr. Die Kinder machen in der Schule unter Anleitung und Aufsicht ihre Schularbeiten. Unterrichtsteile und Freizeitangebote wechseln einander ab. Man nimmt gemeinsam das Mittagessen ein. Der Schulalltag und damit fast der gesamte Tag sind rhythmisiert. Die Lehrer machen vielfältige Freizeitangebote. Dazu gehört auch und besonders Sport. Eine engagierte Erzieherin, die sich durch viele Fortbildungen aus dem Bereich des Sports immer wieder neue Anregungen holt, um sie in der Schule zu präsentieren, klagte mir in diesen Tagen, dass bei der zeitlichen Inanspruchnahme der Schüler vieles nicht mehr angenommen würde. Die Schüler würden sich nach Freiräumen sehnen, in denen sie „abhängen“( auf deutsch: chillen) könnten, ganz für sich sein, vielleicht auch an der Playstation oder am Computer zu Hause etwas Ruhe fänden. Und diese so beanspruchten Schüler, die dann schon in der Regel einen 8-Stunden-Schultag hinter sich haben, erwarten wir „fünf Minuten später“ bei uns im Verein? Das wird nicht funktionieren. Ich sehe den Vereinssport, nicht nur den des Hockeys, massiv bedroht.

Wie sieht es in den Hockeynachbarländern aus?

In unseren Hockeynachbarstaaten ist es kaum anders, was die Ganztagsschule angeht. Glückliches England. Hier ist Hockey Schulsport, vor allem der besseren Kreise, und hier besonders an Privat- und Elite-Schulen. Hier wird auch von offenbar kompetenten Sportlehrern der Spitzensport entwickelt. Die britischen Jugendnationalspieler kommen in der Regel aus dem Schulsport. In Spanien haben die Schüler jeden Tag von 9 – 17 Uhr Schule. Die Kinder werden dann von den Eltern in den Club gefahren, trainieren zweimal in der Woche von 18 bis 20 Uhr und wenn keine Punktspiele sind, wird am Samstagmorgen zwei Stunden trainiert. Schulhockey gibt es nicht. Das Training nach dem Schulalltag ist nicht sehr intensiv, da die Kinder noch sehr unter dem Eindruck der Schule stehen und nach dem Training noch ihre Hausaufgaben erledigen müssen. Allerdings ist Hockey in Spanien noch weniger als in Deutschland verbreitet, wird nur in einigen Zentren betrieben und hier von traditionellen „Hockeyfamilien“. Nicht besser für das Vereinshockey sieht es in Holland aus. Schule bis 15 Uhr für die Minis, bis zum 12. Lebensjahr besuchen sie die gleiche Schule. Die Eltern holen die Älteren erst gegen 18 Uhr aus der Schule ab. Nur mittwochs ist um 12.15 Uhr Schulschluss. Hier ist dann für die Clubs der „Hauptkampftag“. Das Training kann über die Woche sonst erst um 18 Uhr beginnen. Allerdings stehen in der Regel genügend Plätze zur Verfügung, um noch alle zum Training kommen zu lassen. Hallentraining in der Intensität wie in Deutschland gibt es ja in keinem anderen Land. Aber vielleicht liegen in der intensiven Hallenhockeyschulung ja bisher auch Wurzeln der deutschen Hockeyerfolge.

Was ist zu tun?

Um den künftigen Einschränkungen des Vereinstrainings zu begegnen, gibt es nur einen Weg. Hockey muss Schule machen. Muss rein in den Freizeitbereich der Schulen, um hier die Hockeyfähigkeiten zu vermitteln. Dafür sind natürlich Mitarbeiter notwendig, die schon am frühen Nachmittag zur Verfügung stehen. Dieses regelmäßig und nachhaltig. Die Idee der Hockey-Scouts, die wir noch unter anderen Überlegungen im Breitensport entwickelt hatten und für deren Umsetzung sich Breitensportpromoter Akki Giesecke viele Verdienste erworben hat, ist hervorragend. Zivildienstleistende sind als Mitarbeiter für diese Aufgaben ideal. Vereine, denen hauptamtliche Mitarbeiter zur Verfügung stehen, haben es natürlich ungleich leichter. Schule ist Ländersache, deshalb können hier nicht verallgemeinernd Aussagen getroffen werden. Aber die Kooperation zwischen Schule und Verein gehört überall zum Konzept der Ganztagsschulen. Und in vielen Bundesländern sind sehr spezifische Gestaltungs- und Vertragsformen möglich. Auch die Schulen sind weitgehend selbständig, wie sie Kooperationen eingehen. Im Land Rheinland-Pfalz ist man am weitesten in Bezug auf die Entwicklung solcher Kooperationsmodelle von Schule und Sport (im Internet finden Sie leicht Zugang zu diesen Informationen – siehe die Internethinweise am Ende). Das kann in der Hockeyintensität, der Spezialisierung und der Beschränkung auf die Besten fast bis zum Modell der Eliteschulen des Sports gehen.

Möglichkeiten der Kooperation Ganztagsschule - Verein

Mich wundert es, dass bisher so wenige Vereine sich den Belastungen, aber auch den Chancen der Ganztagsschule stellen. Wie ist das Interesse der Hockeyvereine, wenn die Beeinträchtigungen der Ganztagsschule ausgeglichen werden sollen? Hier könnte man tatsächlich im Sinne von Richthofens Chancen nutzen. Warum nicht eine Kooperation dergestalt, dass man mit einer oder mehreren Schulen des Einzugsbereichs des Vereins Vereinbarungen vor allem für die ersten Grundschuljahrgänge trifft. Hier ist das beste Lernalter für die Kinder. Hier ist man vielleicht auch Vorreiter gegenüber anderen Sportarten (wie es unser vernünftig aufgebautes Mini-Training mit einem großen Angebot an Bewegungs- und Spielangeboten ohne frühzeitige Hockeyspezialisierung auch bisher ist) und kann gleichsam „seine claims abstecken“. Man könnte dabei Talente sichten und würde, dieses sogar ein Vorteil, nur die Besten zu sich in den Verein holen (ohne sich – wie der Leipziger Bundestrainer Werner Wiedersich es immer formuliert – mit den „sportarmen Kindern“ abmühen zu müssen. Die in jungen Jahren eher den Eltern zuliebe, denn aus eigenem Antrieb das Training belasten). Die Kooperationsmodelle lassen dabei durchaus auch eine Spitzenförderung zu, also z.B. eine Art Leistungskurs. Vieles ist denkbar, fast alles möglich. Werden Sie sich in Ihrem Verein darüber klar, was Sie wollen und gehen Sie mit einem solchen Konzept auf die Schulen zu. Denn die Mittel der Schule sind begrenzt. Umso mehr kommt denen eine Hilfe von außen gelegen. Mit gut umgesetzten Konzepten kann sich wiederum auch die Schule gut darstellen. Auch die Schulen konkurrieren ja inzwischen um die Gunst der Eltern und Kinder. Diese Modelle sehen übrigens in der Regel vor, dass Sie als Verein die Übungsleiter bezahlen. Nur in wenigen Bundesländern gibt es hier Zuschüsse. Das Land Berlin stellt sage und schreibe gerade mal 25.000 EUR p.a. an Personalzuschüssen für alle 340 Ganztagsschulen zur Verfügung. Die Haushalte fast aller Bundesländer bewegen sich überall im „Reformbereich“ (will sagen, es wird gekürzt). Da wird nirgendwo etwas zu holen sein. Anders sieht es bei der EU aus. Hier gibt es auch für die Bildung auf verschiedenen Ebenen Projektmittel. Die für sich zu gewinnen, benötigt sicherlich Expertenrat. Aber solche Mittel gibt es an vielen Stellen. Sprechen Sie einmal Ihren Europaratabgeordneten an. Dann hat er mal etwas zu tun und trifft vermutlich das erste Mal auf einen Bürger und Wähler. Zu einer Kooperation mit einer oder mehreren Schulen Ihres Einzugsbereichs sollten dann auch Vereinbarungen über die gegenseitige Nutzung von Sport- und Vereinsanlagen gehören und die Möglichkeit, über die Nachmittagsbetreuung hinaus immer wieder für Hockey zu werben. Ganz normal im Sportunterricht, im Rahmen von Projekttagen oder auch Wandertagen, die in Ihren Verein führen.

Wenn Sie es konsequent umsetzen, dann können Sie sich wappnen gegen die Einschränkung des Hockeytrainings über die Woche. Legen Sie die Zeiten der Hockeygrundausbildung in die tägliche Schulzeit. Vor allem die der Vorschulklassen und des 1.-3. Schuljahrs (die Grenzen sind sicherlich fließend). Sehen Sie hier Ihre „Kaderschmiede“. Führen Sie die Besten in Ihren Verein. Diese sind dann sicherlich auch „verrückt genug“, auch nach den Belastungen des Schulalltags abends noch Extra-Hockey zu absolvieren. Möglicherweise haben Sie dann künftig weniger Kinder als Mitglieder (auch das ist ein nicht zu vernachlässigender finanzieller Aspekt). Insofern vielleicht doch auch Hockey-Breitensport für die „orthopädisch Turner“ - „mit Rücksicht auf die Eltern“?

Die Zeiten für die Entwicklung der Hockeyfertigkeiten müssen also nicht geringer werden. Im Gegenteil. Ganztagsschule bietet die Möglichkeit des täglichen Hockeytrainings im besten Lernalter motorischer Fähigkeiten. Sie müssen Strukturen verändern. Aber wenn Sie es rechtzeitig tun, verschaffen Sie sich einen dauerhaften Vorsprung. Vor anderen Sportarten, vor anderen Vereinen. Nutzen Sie diese Chance rechtzeitig. Dann macht Hockey weiter Schule, auch Ganztagsschule.

Weitere Informationen

Internethinweise:

Klicken Sie auch die Seiten Ihres für Schule und Bildung zuständigen Landesministeriums an und die Seiten Ihres Landessportbundes, um sich über die für Ihr Land geltenden Kooperationsmöglichkeiten zu informieren. Gute Informationen finden Sie auch beim BMBF (dem Bundesministerium für Bildung und Forschung).

PS

Nun bin ich doch wieder zu lang geworden. Dafür aber ganz lieb und ganz konstruktiv.

 
Dieter Schuermann

Dieter Schuermann


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